«Wir können nicht weiterfahren wie bisher»

Der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Marcel Hänggi beschäftigt sich seit Jahren mit Energie- und Ressourcenfragen, mit dem Klimawandel und mit dem guten Leben. Er ist überzeugt, dass wir unseren Lebensstil ändern müssen, das aber nicht zu fürchten brauchen.

Marcel Hänggi

Marcel Hänggi spricht am Montag, 27. Oktober um 20 Uhr in der «Stanzerei», Bruggerstrasse 37, Baden. Eintritt frei (freiwilliger Unkostenbeitrag). Foto: Daniel Rihs
Referat: Warum grüne Technologien uns nicht retten werden

Sie sind ein profilierter Warner vor dem Klimawandel und fordern ein Umdenken im Umgang mit Energie. Doch die neuen erneuerbaren Energien gewinnen an Bedeutung, und die Technik wird immer effizienter. Wo ist also das Problem?

Die Erneuerbaren sind ein Teil der Lösung, Schritte in die richtige Richtung. Aber das genügt nicht. Das Problem ist, dass wir immer effizienter immer mehr verbrauchen. Trotz Effizienzgewinnen sinkt der Energieverbrauch nicht, im Gegenteil.

Immerhin wird die Energieproduktion sauberer …

Das stimmt nicht. Die Erneuerbaren ersetzen ja die bisherigen Energieträger nicht, sondern treten zu ihnen hinzu. Das Ziel ist aber nicht, mehr sauberen Strom zu produzieren, sondern weniger von den Fossilen zu verbrauchen. Davon sind wir weit entfernt.

Löst sich das Problem nicht von selbst, wenn das Öl knapp und damit teuer wird?

Nein. Die heute bekannten Reserven fossiler Brennstoffe reichen viel weiter, als es das Klima erträgt. Die Menschheit darf sie nicht verbrennen, sie müssen im Boden bleiben.

Werden wir unseren Energiebedarf allein aus erneuerbaren Quellen decken können? Immerhin hat die Energieeffizienz grosse Fortschritte gemacht.

Auch mit grossen Effizienzanstrengungen werden wir nicht weiterfahren können wie bisher. Ich bezweifle aber, dass es wünschbar ist, von allem immer mehr zu haben. Wir müssen lernen, dass ein gutes Leben auch mit weniger möglich ist.

Wir sollen verzichten?

Das Wort Verzicht hat heute einen schlechten Ruf. Zu unrecht; von gewissen Dingen hätte ich sehr gern etwas weniger – weniger Stress, weniger Lärm, weniger Autos. Das würde das Leben sehr viel lebenswerter machen.

Kein Politiker wagt, Suffizienz zu fordern. Das ist nicht mehrheitsfähig.

Das traut sich tatsächlich kaum einer zu sagen. Ich bin aber überzeugt, dass diese Angst unbegründet ist. In der Schweiz haben sich mehrere Suffizienzvorlagen an der Urne durchgesetzt. Mit dem Anliegen der 2000-Watt-Gesellschaft haben sich die Stadtzürcher freiwillig eine Selbstbeschränkung auferlegt, und die Städteinitiativen verlangen eine Reduktion des Verkehrs.

Das funktioniert vielleicht, solange es nicht wehtut. Aufs Auto verzichten will aber kaum jemand.

Die heutigen Strukturen lassen vielen keine Wahl. In den letzten vierzig Jahren sind zwei von drei Läden verschwunden. Die Einkaufswege sind also länger geworden, auch für jene, die kein Auto benützen wollen. Das Auto hat sehr viel mehr Unfreiheiten geschaffen als Freiheiten.

Und wie soll sich das ändern?

Heute wird versucht, mehr richtig zu machen. Wichtiger ist aber, weniger falsch zu machen. Von Umerziehungskampagnen halte ich allerdings nichts. Es geht nicht darum, Suffizienz vorzuschreiben. Es geht darum, Zwänge zu reduzieren, die eine genügsame Lebensweise verhindern. Wenn man Strukturen schafft, die ein suffizientes Leben ermöglichen, wäre das für sehr viele Menschen eine äusserst attraktive Option.

Interview: Christian Keller

Marcel Hänggi, 45, ist Wissenschaftsjournalist und Buchautor und lebt in Zürich. Er engagiert sich neben seiner publizistischen Tätigkeit in mehreren landwirtschaftlichen Projekten. Der Historiker ist Autor der Bücher «Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt» (2008) und «Ausgepowert. Das Ende des Ölzeitalters als Chance» (2011). Im März 2015 erscheint sein neustes Buch über die Frage, was technischer Fortschritt sei.