«Die EGS betreibt eine Verhinderungspolitik»

An der Generalversammlung 2015 der Elektrizitätsgenossenschaft Siggenthal (EGS) haben zwei Vereinsmitglieder der solarlobby.ch mit einem Antrag verlangt, dass das Versorgungsunternehmen für die Durchleitung von Solarstrom auf einen Teil der Netzgebühren verzichte und so einen Beitrag zur Energiewende leiste. Im Interview erklärt Mitinitiant Daniel Haensse den Antrag, der als 10. Traktandum behandelt wurde.

Goldiland

Die 103 Genossenschafterinnen und Genossenschafter der EGS stimmten ganz im Sinne des Verwaltungsrats und wurden für ihre Treue mit einem währschaften Znacht belohnt. Foto: Beat Hager.

Interview: Christian Keller

Der Antrag «Einfache und effiziente Verwendung und Entschädigung der Einspeisung durch kleine Solaranlagen» (Traktandum 10) hatte an der Generalversammlung der EGS keine Chance. Wie fühlst du dich nach der EGS GV 2015?

Sehr gut. Es ist uns gelungen, stolze 20 Prozent der Stimmen bei Traktandum 10 zu bekommen. Mit dem Resultat sind wir Initianten sehr zufrieden und danken allen Unterstützern. An der GV 2012 hatten wir mit einem anderen Vorstoss nur knapp 10 Prozent der Stimmen. Die EGS schafft es, über das Sponsoring von Vereinen Stimmen zu mobilisieren, doch diese Mehrheit wird in Zukunft schwinden, denn es zeigt sich: Immer mehr Leute verstehen unsere Anliegen.

In der Rundschau vom 28.5.2015 wurde der Abend als «Trauerspiel in drei Akten» dargestellt. Wie hast du die GV empfunden?

Der scheidende Verwaltungsratspräsident der EGS hat seinen Auftritt für eine 45 Minuten dauernde, flammende Rede gegen die Solarenergie genutzt, die gespickt war mit Halbwahrheiten. Uns Initianten wurde hingegen die Redezeit willkürlich beschnitten: Markus Aeppli und mir wurden gerade mal je drei Minuten zugestanden, um unser Anliegen vorzustellen, ohne dass die Genossenschafter diese Redezeitbeschränkung bewilligt hätten. So konnte das vom VR-Präsidenten gezeichnete Zerrbild nicht richtiggestellt werden. Die Zusammenhänge und Abläufe zwischen Netznutzung, Energiepreis, Vergütung, Herkunftsnachweis, Einmalvergütung (EIV), kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), Einspeisung, Netznutzung, Autokonsum und Konzessionsabgaben sind nicht einfach zu verstehen. Ich hätte vom scheidenden Verwaltungsratspräsidenten, der als Elektroingenieur sehr wohl weiss, wovon er spricht, erwartet, dass er diese Zusammenhänge in seinem Referat sachlich erklärt. Sein Vortrag hat bei vielen Leuten, mit denen ich geredet habe, einen unprofessionellen Eindruck hinterlassen.

Der Vortrag des scheidenden VR-Präsidenten Peter Abächerli ist auf der Homepage der EGS publiziert. Was kritisierst du daran konkret?

Der Redner hat eine Studie der ETH Zürich zum Eigenverbrauch zitiert (Folie 19) und suggeriert, dass Solaranlagen dank KEV oder EIV mit Rendite betrieben werden können. Er hat aber verschwiegen, dass viele Anlagen im Siggenthal seit Jahren auf der langen Warteliste der KEV sind und auf Fördermittel warten. Für Solaranlagenbetreiber, die nicht in der KEV sind, ist heute der Eigenverbrauch interessant, weil damit Kosten beim Strombezug gespart werden können. Für einen Elektrizitätsversorger bedeutet dies aber, dass ein Solaranlagenbetreiber weniger Strom bezieht. Die Berechnungen in der Studie basieren auf einer minimalen Vergütung für die produzierte Solarenergie. Die EGS vergütet aber massiv weniger für die Energie, als in der Studie aufgeführt wird. Unser Anliegen wäre gewesen, dass die Solaranlagen im Siggenthal kostendeckend betrieben werden können. Die Kosten der EGS wären hierbei auch gedeckt gewesen.

Die EGS hat die letzten Jahre eine Verhinderungspolitik gegenüber den Solarstromproduzenten praktiziert. Das hat sie so weit getrieben, dass man die Solaranlage über einen 2. Zähler anschliessen und somit für den eigenen Strom den vollen Strompreis an die EGS bezahlen musste. Die Vergütung für den eingespeisten Solarstrom ist dabei natürlich kleiner als dieser Strompreis. Davon profitiert die EGS. Zusätzlich wird der 2. Zähler dem Solaranlagenbetreiber mit über 100 Franken pro Jahr verrechnet. Für kleine private Solaranlagen sind das hohe Kosten.

Das Solargewinnmodell der EGS
Jahr Siggenthaler Nature Star (April–März) Tarif 1 [Rp/kWh] Vergütung für Solarstrom durch die EGS [Rp/kWh] Differenz zugunsten der EGS [Rp/kWh]
2012 23.3 9.8 13.5
2013 23.7 23.3 0.4
2014 23.7 17.8 5.9
2015 24.6 7 (EIV) / 11 (KEV) 17.6 (EIV) / 13.6 (KEV)

Den Eigenverbrauch musste die EGS 2014 zulassen, weil der Gesetzgeber den Eigenverbrauch explizit erlaubte. Just auf die Gesetzesänderung 2014 hat die EGS die Vergütungen massiv gesenkt. Der heutige Stand ist wieder völlig zu Ungunsten der Solaranlagenbetreiber im Siggenthal. Viele Solaranlagenbetreiber haben ihre Anlagen noch nicht angepasst, weil dies mit Kosten verbunden ist. Viele wissen von der Praxisänderung vermutlich noch gar nichts, alle hoffen auf den schnellen Abbau der KEV-Warteliste, um dem EGS-Regime zu entfliehen.

Es ging im Referat des VR-Präsidenten auch darum, dass der unstete Solarstrom das Netz instabil mache (Folie 17). Was sagst du dazu?

Von einer Bedrohung der Netzstabilität zu sprechen, ist ein Witz. Der Anteil des Solarstroms im Siggenthal beträgt gerade mal 0,2 Prozent. Die EGS kontrolliert gemeinsam mit den Regionalwerken Baden und dem EW Wettingen die Netzstabilität in der Region. Dort weiss man nichts von Netzinstabilitäten wegen Fotovoltaikanlagen, obwohl dort der Anteil Solarstrom viel höher ist als bei uns. Die EGS, so scheint mir, malt ein Schreckgespenst an die Wand, um weiterhin den Stromverkauf zu sichern. Schade eigentlich, denn dank modernster Halbleitertechnik im Bereich Leistungselektronik und Mikroprozessortechnik sind Solarkraftwerke die grösste technische Innovation seit Erfindung der Glühbirne durch Thomas Edison vor rund 130 Jahren. Die Krönung des 45-minütigen Vortrags war die Ausführung zu Folie 14 mit dem Titel «Marktpreis 2015/1 für eingespeiste erneuerbare Energie». Die Daten, führte der scheidende VR-Präsident aus, habe er mittels Google recherchiert. Tatsächlich zeigte die Folie aber den «Marktpreis gemäss Art 3b EnV», der nicht zur Festlegung der Energievergütung für Solaranlagen dient, sondern der Festlegung der ungedeckten Kosten. Zwischen den Zahlen des Bundesamts für Energie und dem irreführenden Titel der Folie besteht kein Zusammenhang. 103 Genossenschafter haben sich basierend auf dem Titel der Folie und den Ausführungen des ehemaligen VR Präsidenten eine Meinung gebildet. Dies dokumentiert erneut die unglaubliche Ignoranz und Überforderung mit dem Thema Solarenergie seitens der EGS. Wir haben nicht Google gefragt, sondern die ElCom, die als unabhängige staatliche Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich auch die EGS beaufsichtigt. Sie hat uns bestätigt, dass die Vergütung der EGS nicht den minimalen Empfehlungen des Bundesamts für Energie entspricht. Die Abweichung beträgt bis zu 27 Prozent. Momentan ist bei der ElCom eine Klage bezüglich Energiepreisvergütung hängig. Eigentlich sollten wir für das Siggenthal nun prüfen, ob wir uns an der Klage beteiligen können.


Dr. Daniel Haensse ist Elektroingenieur ETH und Inhaber des Informatik­unternehmens SwissEmbedded.

Warum habt ihr nicht das Gespräch mit der EGS-Führung gesucht, um die Differenzen zu besprechen?

Mehrere Verwaltungsräte der EGS haben mich das nach der GV ebenfalls gefragt. Das hat mich etwas irritiert, denn im Begleitschreiben zu unserem Antrag vom 20. März 2015 haben wir um ein Gespräch mit der EGS gebeten. Da eine Reaktion auf den Brief seitens EGS ausgeblieben war, haben wir am 13. April mit dem Geschäftsführer der EGS telefoniert und es wurde uns mitgeteilt, dass kein vorgängiges Gespräch seitens EGS stattfinden wird. Dies erweckt bei mir den Eindruck, dass dieses Vorgehen nicht mit dem ganzen Verwaltungsrat abgesprochen wurde.

Wie sieht die Zukunft für den Solarstrom im Siggenthal aus?

Die Verhinderungstaktik der EGS hat Früchte getragen. Der Solarstromanteil im Siggenthal beträgt gemäss Aussagen der EGS 0,2 Prozent. Im schweizerischen Durchschnitt ist es rund das Zehnfache. Ich bin gespannt, wie Gemeinde und Kanton im Siggenthal die Solarenergie fördern möchte, denn der Kanton Aargau sieht die Solarenergie in seiner Energiestrategie als die zweitwichtigste Energiequelle nach der Wasserkraft. Bis 2035 soll ein Anteil von 25 Prozent Fotovoltaik realisiert werden. Die EGS wird sich schon sehr bald den neuen Herausforderungen stellen und einen Wandel vollziehen müssen. Ich hoffe, dass sie es schafft, ein partnerschaftliches und dialogfähiges Verhältnis zu den Solarkunden aufzubauen. Bald können die Privatkunden den Stromlieferanten selber wählen. Als Genossenschaft hätte die EGS die einmalige Chance, alle Genossenschafter aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Selbst Mieter könnten mit kleinen Plugin-Solaranlagen mitwirken. Längerfristig könnte sogar die Wirtschaft im Siggenthal davon profitieren. Durch die lokale Stromproduktion könnten neue Arbeitsplätze auch in der EGS geschaffen werden. Stellen Sie sich vor, die ganze Infrastruktur für Wärmekraftkopplung, Solarthermie, Fotovoltaik, Windkraft, Schnelllader für die Elektrofahrzeuge wird durch das lokale Gewerbe errichtet und unterhalten. Auch immer mehr bürgerliche Politiker haben dies erkannt und setzen sich für das lokale Gewerbe ein.

Und wie geht es weiter?

Wir sollten nun den Blick nach vorne richten. Wir hatten bereits ein gutes Gespräch mit Wolfgang Tron, der Peter Abächerli als VR-Präsident abgelöst hat. Ich bin zuversichtlich, dass der Verwaltungsrat schnellstmöglich das Gespräch mit uns suchen und rückwirkend faire Vergütungspreise festlegen wird.